Am Anfang war das Wort Ballade Theodor Fontane: Treu-Lischen

Theodor Fontane: Treu-Lischen

„Mein Lischen, stell das Weinen ein,
Auf Regen folgt ja Sonnenschein,
Ich kehr‘ mit Schwalb‘ und Flieder
Und wohl noch früher wieder.“

Der Bursche sprach’s. Vom Giebeldach
Sah ihm Treu-Lischen lange nach,
Bis Hoffnung wiederkehrte
Und ihren Thränen wehrte.

Die Aeuglein wurden wieder klar,
Das Herze jeden Kummers bar, —
Sie wußte, mit dem Flieder
Kam ihr der Liebste wieder.

Der Frühling kam mit Duft und Klang,
Treu-Lischen harrte mondenlang,
Herbstwind durchfuhr den Garten, —
Vergeblich war ihr Warten.

Wohl kam der Frühling viele Mal,
Ihr Liebster nimmermehr in‘s Thal,
Doch Lenz um Lenz auf‘s Neue,
Rief sie: „nun kommt der Treue!“

Es konnt ihr Herz, das Jahr um Jahr
Dem Liebsten treu geblieben war,
Es konnt‘s ihr Herz nicht fassen,
Er habe sie verlassen.

Grau ward ihr Haar, welk ihr Gesicht,
Das Alter kam, sie wußt‘ es nicht,
Ihr Hoffen und ihr Lieben,
Ihr Herz war jung geblieben.

Und als der Tod sie heimgeführt,
Hat ihn das treue Herz gerührt,
Und mit des Liebsten Mienen
Ist er vor ihr erschienen.

Dieser Text ist Gemeinfrei.
Verfasst: 1845
Quelle: Theodor Fontane: Gedichte, Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst. – Berlin 1851, S. 106 ff.

> Siehe auch: Sämtliche Texte alphabetisch sortiert (Theodor Fontane alphabetisch)

Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung von Kunst braucht Zeit (): Gelbe Rose

< Die arme Else Schön-Anne >

 

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