Am Anfang war das Wort Brief,Das Tagebuch Theodor Fontane: Unveröffentlichter Brief über Wilhelm II.

Theodor Fontane: Unveröffentlichter Brief über Wilhelm II.

Theodor Fontane schrieb den folgenden wahrhaft hellseherischen Brief am 5. April 1897; er ist an Georg Friedländer gerichtet, einen Amtsrichter, den Fontane in einer schlesischen Sommerfrische kennen gelernt hatte.

Hochgeehrter Herr!

Sie klopfen an, wegen der Reden aus hohem Munde, drin so viel gesagt und noch mehr verschwiegen wird. Ich komme, wenn ich dergleichen in meiner guten Vossin1 lese, jedesmal ganz außer mir, während ich mich doch von Illoyalität frei weiß und für vieles, was an „oberster Stelle“ beliebt wird, nicht blos ein Verständniß, sondern auch eine Dankbarkeit habe. Was mir an dem Kaiser gefällt, ist der totale Bruch mit dem Alten, und was mir an dem Kaiser nicht gefällt, ist das im Widerspruch dazu stehende Wiederherstellenwollen des Uralten. In gewissem Sinne befreit er uns von den öden Formen und Erscheinungen des alten Preußenthums. Er bricht mit der Ruppigkeit, der Poplichkeit, der spießbürgerlichen Sechsdreierwirthschaft der 1813er Epoche. Er läßt sich, auf‘s Große und Kleine hin angesehn, neue Hosen machen, statt die alten auszuflicken. Er ist ganz unkleinlich, forsch und hat ein volles Einsehn davon, daß ein deutscher Kaiser was andres ist, als ein Markgraf von Brandenburg. Er hat eine Million Soldaten und will auch hundert Panzerschiffe haben. Er träumt (und ich will ihm diesen Traum hoch anrechnen) von einer Demüthigung Englands. Deutschland soll obenan sein, in all und jedem. Das alles – ob es klug und ausführbar ist, laß ich dahin gestellt sein – berührt mich sympathisch, und ich wollte ihm auf seinem Thurmseilwege willig folgen, wenn ich sähe, daß er die richtige Kreide unter den Füßen und die richtige Balancirstange in Händen hätte. Das hat er aber nicht. Er will, wenn nicht das Unmögliche, so doch das Höchstgefährliche, mit falscher Ausrüstung, mit unzureichenden Mitteln. Er glaubt, das Neue mit ganz Alten besorgen zu können. Er will Modernes aufrichten mit Rumpelkammerwaffen. Er sorgt für neuen Most, und weil er selbst den alten Schläuchen nicht mehr traut, umwickelt er eben diese Schläuche mit immer dickeren Bindfaden und denkt: „Nun wird es halten.“ Es wird aber nicht halten. Wer sich neue, weite Ziele steckt, darf sein Feuerschloßgewehr nicht blos in ein Percussionsgewehr umwandeln lassen. Der muß ganz neue Präcisionswaffen erfinden. Sonst knallt er vergeblich drauf los. Was der Kaiser muthmaßlich vor hat, ist mit „Waffen“ überhaupt nicht zu leisten. Alle militärischen Anstrengungen kommen mir vor, als ob man Anno 1400 alle Kraft darauf gerichtet hätte, die Ritterrüstung kugelsicher zu machen. Statt dessen kam man aber auf den einzigen richtigen Ausweg, die Rüstung ganz fortzuwerfen. Es ist unausbleiblich, daß sich das wiederholt. Die Rüstung muß fort, und ganz andre Kräfte müssen an die Stelle treten: Geld, Klugheit, Begeisterung. Kann sich der Kaiser dieser Freiheit versichern, so kann er mit seinen fünfzig Millionen Deutschen jeden Kampf aufnehmen. Durch Grenadier-Blechmützen, Medaillen, Fahnenbänder und armen Landadel, der seinem „Markgrafen durch Dick und Dünn folgt“, wird er es aber nicht erreichen. Nur Volkshingebung kann die Wunderthaten thun, auf die er aus ist. Aber um diese Hingebung lebendig zu machen, dazu müßte er die Wurst gerade vom entgegengesetzten Ende anschneiden. Preußen – und mittelbar Deutschland – krankt an unsren Ostelbiern. Ueber unsren Adel muß hinweggegangen werden. Man kann ihn besuchen, wie das ägyptische Museum, und sich vor Ramses und Amenophis verneigen. Aber das Land ihm zu Liebe regieren, in dem Wahn: Dieser Adel sei das Land, – das ist unser Unglück, und solange dieser Zustand fortbesteht, ist an eine Fortentwicklung deutscher Macht und deutschen Ansehen nach außen hin gar nicht denken. Worin unser Kaiser die Säule sieht, das sind nur thönerne Füße. Wir brauchen einen ganz anderen Unterbau. Vor diesem erschrickt man. Aber wer nicht wagt, nicht gewinnt. Daß Staaten an einer kühnen Umformung, die die Zeit forderte, zu Grunde gegangen wären, – dieser Fall ist sehr selten. Ich wüßte keinen zu nennen. Aber das Umgekehrte zeigt sich hundertfältig.
     Dienstag, den 6. April (18)97 … Ich orakle weiter, aber werde doch auch suchen, mich dabei der Orakelkürze zu bedienen, sonst wird die Sache endlos. Bei meiner gestrigen langen Schreiberei bin ich an einer Specialsache, die doch zugleich eine Hauptsache ist, vorübergegangen, an des Kaisers Stellung Bismarck. Es ist das Tollste, was man sich denken kann. Ich bin kein Bismarckianer. Das Letzte und Beste in mir wendet sich von ihm ab. Er ist keine edle Natur; aber die Hohenzollern sollten sich nicht von ihm abwenden, denn die die ganze Glorie, die den alten Wilhelm umstrahlt – und die noch dazu eine reine Glorie ist, weil das Häßliche davon an Bismarcks Händen kleben blieb – die ganz neue Glorie des Hauses verdankt das Hohenzollernthum dem genialen Kraftmeier im Sachsenwald. „Es wächst das Riesenmaß der Leiber, Hoch über Menschliches hinaus.“ Und das Riesenmaß seines Geistes stellt noch wieder das seines Leibes in Schatten. Und der soll Werkzeug gewesen sein oder Handlanger oder gar Pygmäe! Wie kann man die Geschichte so fälschen wollen. Es ist der sprichwörtlich gewordene Undank der Hohenzollern, der einen hier anstarrt. Glücklicherweise schreibt die Weltgeschichte mit festem Griffel weiter. Aber hieße ich Arnim oder Bülow, ich könnte so etwas nicht vergessen. Und nun leben Sie wohl Empfangen Sie nochmals meinen herzlichen Dank für zwei so liebenswürdige Briefe und empfehlen Sie mich, worum noch Frau und Tochter bitten, Ihren verehrten Damen.

In vorzüglicher Ergebenheit
Th. Fontane

Dieser Text ist Gemeinfrei.
Quelle: Stefan Großmann (Herausgeber): Das Tage-Buch, 10.01.1920, bei: Ernst Rowohlt Verlag, S. 2 ff.


1: Anmerkung der Herausgeberin: Gemeint ist die Zeitung Voss

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