Schloß Holyrood ist öd‘ und still,
Der Nachtwind nur durchpfeift es schrill,
Es klirrt kein Sporn in Hof und Hall‘,
Nur finstres Schweigen überall.
Da plötzlich schwebt, in luftgem Gang,
Ein hohes Weib die Hall‘ entlang:
Ihr klares Aug‘ strahlt ewig-jung
Vom Feuer der Begeisterung.
Zu Häupten ihr glüht Sternenschein,
Ihr Haar ist Gold, — wer mag sie sein?
Sie kommt, und bringt ihr Angebind
Im Saale drin dem Königskind.
Das Königskind das heißt Marie,
Sie aber ist die Poesie;
Die neiget jetzt zur Wiege sich,
Und flüstert ernst: „ich weihe Dich!“
Sie flüstert‘s kaum, da — still und stumm
Entschwebet schon sie wiederum,
Und lachend schlüpfen lust‘ge Zwei
Jetzt in die Thür, an ihr vorbei.
Die Eine strotzt von buntem Tand,
Ein Spiegel blitzt in ihrer Hand,
Bald schaut sie sich und bald ihr Kleid,
Das war die Dirne „Eitelkeit“.
Die Andre frech und üppig gar,
Trägt langes aufgelöstes Haar,
Ihr Aug‘ ist schwarz, nackt ihre Brust,
Das war die Dirne „Sinnenlust“.
Sie neigen beid‘ zur Wiege sich,
Und kichern hell: „wir weihen Dich!“
Da huscht, — und ihre Wang‘ erblasst,
Rasch in den Saal ein dritter Gast.
Wie Schatten schleicht er an der Wand,
Sein Kleid ist roth, roth seine Hand,
Er schaut sich um, sein Auge sticht,
Und messerscharf ist sein Gesicht.
Er neigt sich jetzt, und spricht das Wort:
„Ich weihe Dich zu Blut und Mord!“
Aufschreit im Schlaf das Königskind,
Und heller draußen pfeift der Wind.
Der Gast ist fort, doch her und hin
Wirft banger Traum die Schläferin,
Geweiht für‘s Leben schlummert sie
Die schöne, schottische Marie.
Dieser Text ist Gemeinfrei.
Verfasst: um 1847
Quelle: Theodor Fontane: Gedichte, Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst. – Berlin 1851, S. 149 ff.
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