Am Anfang war das Wort Verserzählung Theodor Fontane: Von der schönen Rosamunde (Vorwort)

Theodor Fontane: Von der schönen Rosamunde (Vorwort)

Das mittelalterliche England als Schauplatz der Literatur

Ein literaturwissenschaftlicher Blick

Insgesamt besteht die VerserzählungVon der schönen Rosamundeaus neun Kapiteln. Diese Anzahl wurde von Theodor Fontane nicht zufällig gewählt, galt die Zahl neun bis in die Weimarer Republik hinein als Synonym für die Liebe, das Höchste, was erstrebenswert ist und was man erreichen kann. Die Liebe bezieht sich hierbei nicht allein auf den Eros sondern ist eher allgemein aufzufassen.
Der Aufbau des Zyklus ist überwiegend dramatisch im aristotelischen Sinne obgleich es kaum wörtliche Reden gibt, geschweige denn ein Dialog, und doch übernahm Theodor Fontane den schematischen Aufbau eines Dramas. Im ersten KapitelWie Heinrich Rosamunden findetwerden die handelnden Personen vorgestellt (König Heinrich, Rosamunde und ihr Vater); im zweiten KapitelWie Heinrich Rosamunden gen Woodstock führtnimmt die Handlung Fahrt auf, zugleich hört Heinrichs Ehefrau von der Heirat im dritten Kapitel, während die beiden Turteltauben im vierten Kapitel ihre gemeinsame Zeit genießen (Katastase); im fünften Kapitel kehrt Heinrich zu seinem Schloss zurück, wo er von seiner erzürnten Ehefrau empfangen wird (Klimax); das sechste, siebte und achte Kapitel zögern die eigentliche Katastrophe hinaus, es werden sogenannte Nebenschauplätze eröffnet (retardierender Moment) und im letzten Kapitel geschieht die Katastrophe, Heinrich kommt zu spät.

Die Verserzählung besteht insgesamt aus 95 Strophen mit jeweils sieben Verszeilen. Die jeweils ersten vier Zeilen weisen das Reimschema a, b auf, die beiden darauffolgenden a, a und die letzte Zeile bleibt ohne Reim. Durchgängig wird der Tetrameter verwendet, ein Versmaß, dass vor allem in der Antike seine Anwendung fand, insbesondere von Aischylos und Seneca.1a   

Vom literaturhistorischen Standpunkt aus fließen zwei Epochen in die Verserzählung hinein. Zum einen die Weimarer Klassik mit ihrem Rückbezug auf die Antike, zum anderen die Romantik, angedeutet in Kapitel sieben durch das Auftauchen des Bettelweibs, die man anhand ihrer Attribute auch als Hexe bewerten kann, im letzten Kapitel werden gar „blaue Blumen“ (Zeile 14) erwähnt, das Symbol der Romantik schlechthin seit dem Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis.

Die historische Person Rosamund Clifford

Theodor Fontane war ein Kenner der Historie und das galt längst nicht nur für die deutsche Geschichte, auch die englische hatte es ihm angetan.

Würde man sich die Frage stellen, wieso Theodor Fontane sich ausgerechnet der historischen Person Rosamund Clifford um 1847 widmete, könnte man sich mit der Antwort zufrieden geben, dass der Dichter zu diesem Zeitpunkt verliebt, gar verlobt war, doch eine Heirat musste immer wieder aufgrund von finanziellen Engpässen aufgeschoben werden.
Rosamund Clifford oder wie sie offiziell hieß „Lady Jane de Clifford“ lebte etwa von 1150  bis 1176.2a Sie wäre nicht weiter nennenswert, wenn sie nicht die Mätresse des englischen Königs Heinrich II. gewesen wäre. Außerdem kursierte bis ins 19. Jahrhundert hinein die Legende, dass Heinrichs Frau – Eleonore von Aquitanien – sie vergiftet haben soll.
In der Dichtung von Theodor Fontane verliebt sich Rosamund nichts ahnend in den englischen König, der sich als Ritter von Woodstock, eine Gegend in der Nähe von Oxford, ausgibt. Vorerst lässt er sie im Unwissen darüber, wer er tatsächlich ist und selbst bei der Hochzeit gibt er seine eigentliche Identität nicht preis.

Lesarten

Frauenbild

Es stehen sich zwei Frauenbilder in der Dichtung gegenüber: Einerseits die zarte, unschuldige Rosamund, andererseits die erzürnte, vielleicht gar hasserfüllte Ehefrau Eleonore. Theodor Fontane übernahm hierbei das gängige Frauenbild des 19. Jahrhunderts, welches vor allem im Bürgertum seit ungefähr 1850 immer größeren Anklang fand: eine Frau sollte zart, ganz auf ihren Ehemann konzentriert sein und möglichst wenig von Gesellschaft und Politik wissen, eine selbstbewusste Frau wie Eleonore wurde hingegen abgelehnt.
Obgleich es historisch keinerlei Anhaltspunkte gibt, die beweisen würden, dass Eleonore ihre Konkurrentin Rosamund ermordet hat, bleibt dieses Bild bis heute hartnäckig bestehen. Theodor Fontane hat für seine Verserzählung ein anderes Ende gewählt, ein Ende, welches vor allem in der Romantik zu finden ist.

Kritik an der preußischen Politik

Eine weitere Lesart seiner Verserzählung könnte man auch als Kritik an der preußischen Politik auffassen. Es sind die Winkelzüge des Heinrichs II., der einen aufhorchen lässt.
Seit Jahren forderte man von dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. eine Verfassung, die unter anderem mehr Freiheit für den einzelnen vorsah, doch der König dachte gar nicht daran.
Heinrich II. lässt Rosamund solange in Unwissenheit darüber, welches Amt er tatsächlich bekleidet, bis er es ihr nicht mehr verheimlichen kann.
Noch 1847 hoffte Theodor Fontane, dass der preußische König im letzten Augenblick eine Konstitution aus der Schublade ziehen würde, doch die Hoffnung schwand, denn selbst während der sogenannten „Kartoffelrevolution“ ließ er sich nicht erweichen.3aa    
Im achten Kapitel in „Von der schönen Rosamunde“ ruft die Frau von Woodstock mehrmals „O komm, o rette“, doch der König kommt zu spät. Ähnlich erging es dem preußischen König, die Rufe seines Volkes, die unter der Last der Welthandelskrise litt, ließ er ins Leere laufen bis er 1848 den Aufstand nicht mehr verhindern konnte.3ab 

Der Entschluss von Theodor Fontane

Nachdem Theodor Fontane 1849 beschlossen hatte, ein freier Schriftsteller zu sein, war er wie so oft, ziemlich klamm. In seiner Schublade lag neben „Männer und Helden“ die Verserzählung fix und fertig dar, er brauchte nur noch einen Verleger. Das sagt sich leichter als es tatsächlich war, mit Lyrik ließ sich damals kein Geld verdienen. Sein Freund Wilhelm Wolfssohn half ihm bei der Suche nach einem Verleger, für den Zyklus konnte er Moritz Katz aus Dessau gewinnen. Moritz Katz ließ die Dichtung im Miniaturformat mit Goldschnitt drucken, pries es mit den Worten „unvergänglich Schöne und Harmonische echter Poesie“ an und weiter heißt es: „vom frischen Hauch englischer Balladendichtung durchweht“.3ba  
Um seine Verlobte Emilie Rouanet-Kummer wenigstens ein wenig zu trösten, dass es vorerst nichts mit der Heirat wird, konnte Theodor Fontane Weihnachten 1849 den Zyklus als Geschenk mit einer Widmung für sie überreichen (damals war es üblich, dass man am Ende eines Jahres im Eindruck das Folgejahr angab, hier: 1850). Mit Ungeduld wartete er auf die Kritiken und wurde enttäuscht: weder lobten sie ihn besonders noch verrissen sie ihn. Seiner Ansicht nach wurde seine Arbeit nicht ausreichend gewürdigt.3bb Dafür wurde er Ostern 1851 angenehm überrascht. Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Karl Maria Kertbeny schickte Theodor Fontane seine Übersetzung vom epischen Gedicht „Die Eroberung von Murany“ (Originaltitel: Murány ostroma) von dem ungarischen Dichter János Arany zu. Die Übersetzung hatte er aus Begeisterung über „Von der schönen Rosamunde“ dem Verfasser Theodor Fontane gewidmet.3ca   

Ein literaturhistorischer Blick

Theodor Fontane hatte in einem Brief an Bernhard von Lepel Anfang Juni 1847 geäußert, dass er unter anderem an dem Stoff Rosamund arbeiten würde, neben „Maria Stuart“ und weiteren Stoffen.4aa    Drei Monate später (um den 15.09.1847 herum) bat ihn Bernhard von Lepel, ihm eine Abschrift „Von der schönen Rosamunde“ zukommen zu lassen, damit er dem Tunnel-Mitglied und Offizier Woldemar von Loos daraus vortragen könne.4ba     
Im September desselben Jahres legte er Emilie Auszüge in einem Brief bei.4ca Bevor seine Dichtung in Druck ging, ein Verleger musste noch gefunden werden, trug er Teile daraus den Mitgliedern des Sonntagsvereins Tunnel an der Spree vor. Das erste Mal war am 18. Juli 1847, er hielt sich in Berlin auf, trug das erste KapitelWie Heinrich Rosamunden findetvor. Anwesend war unter anderem der Autor Johann Ludwig Urban Blesson, der zuvor von November 1841 bis Mai 1842 „Haupt“ des Vereins war,5 und das langjährige Mitglied Ludwig Lesser.6a       
In Berlin herrschte am 15. August 1847 große Hitze, die Mitglieder des Sonntagsvereins trafen sich dennoch und Theodor Fontane trug einen weiteren Teil aus seinem RomanzenzyklusVon der schönen Rosamundevor, honoriert wurde es mit der Bewertung „gut mit der Schleife“.6b   

Heutzutage ist das epische Gedicht keinem größeren Lesekreis bekannt, sicherlich liegt ein Grund dafür in seiner Länge: Die Ballade ist zu lang, um es einem Liebesbrief oder ähnliches aufzunehmen. Zudem ist es für heutige Geschmäcker zu kitschig und last but not least, ist die Geschichte über Rosamund den meisten hierzulande nicht mehr geläufig.
Obgleich Theodor Fontane ungeduldig war, mehrmals seinen Unmut über die zu wenige Resonanz geäußert hatte, so ist dies nicht ganz nachvollziehbar. Nicht nur, dass er einen Verlag gefunden hatte, sondern es wurde zwischen dem 13. September und 20. September 1850 Kapitelweise im „Morgenblatt für gebildete Leser“ abgedruckt, der erste Teil war gar auf der Titelseite der Zeitung.

> Siehe auch: Sämtliche Texte alphabetisch sortiert (Theodor Fontane alphabetisch)

Von der schönen Rosamunde, Inhaltsverzeichnis >

Einzelnachweise:
1a: Vgl. Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur – Verlag J.B. Metzler – Stuttgart – Weimar, 2007 (3); S. 759

2a: Vgl. Wikipedia (): Rosamund Clifford, zuletzt besucht am 28.01.2019 

3: Vgl. Helga Bemmann: Theodor Fontane, Ullstein Buchverlage – Berlin 1998
3aa, 3ab: S. 68
3ba, 3bb: S. 82 f.
3ca: S. 95 f.

4: Vgl. Roland Berbig: Theodor Fontane. Chronik, Walter de Gruyter – Berlin, New York – 2000
4aa: S. 119
4ba: S. 124
4ca: S. 123

5: Vgl. CERL Thesaurus (): Blesson, Johann Ludwig Urban, zuletzt besucht am 16.04.2019 

6a: Vgl. Tunnel über der Spree (): Protokoll 1847/07/18, zuletzt besucht am 17.11.2019 
6b: Vgl. Tunnel über der Spree (): Protokoll 1847/08/15, zuletzt besucht am 17.11.2019 

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