Wie Heinrich Rosamunden gen Woodstock führt.
Am dritten Tag, vor Clifford’s Schloß,
In abendlicher Stunde
Hebt König Heinrich auf sein Roß
Die schöne Rosamunde.
Vom Priester gestern ward die Braut
Dem Ritter Woodstock angetraut –
So nannte sich der König.
Sie reiten in die Nacht hinein
Durch Tannenwald und Eichen,
Noch vor des Frühroths erstem Schein
Schloß Woodstock zu erreichen.
Im Laube spielt des Mondes Licht –
Sie schaun sich still ins Angesicht,
Und haben keine Worte.
Es regt sich nichts, nicht Blatt, nicht Ast,
Kein Ton von Nachtigallen:
Es glaubt das Ohr, es höre fast
Die Mondesstrahlen fallen.
So klar-durchsichtig ist die Luft:
Man sieht der Nachtviole Duft
Wie Wölkchen aufwärts steigen.
Der Wald, im Silberglanze, weckt
Des jungen Weibes Bangen:
Die Zweige hat er ausgestreckt,
Als woll‘ er sie umfangen.
Sie denkt an manche alte Mähr‘,
Und, ob im Zauberwald sie wär’,
Wohl zuckt’s durch ihre Seele.
Doch bald an Heinrich‘s Brust, so warm,
Wird bar sie jeden Kummers,
Und zwiefach ruht sie jetzt im Arm
Des Gatten und des Schlummers;
Mit Schleiern deckt der Mond sie zu,
Und Heinrich wacht ob ihrer Ruh,
Als gält‘ es seine Krone.
Sie träumt; und mit dem Roth der Scham
Schmückt ihr der Traum die Wangen,
Bis plötzlich, schneller als es kam,
Das Roth dahin gegangen:
Sie zittert, windet sich und ringt,
Und aus der tiefsten Seele dringt
Es bang, wie Schrei des Todes.
Auffährt sie jach – starrt zur Seit‘,
Wie fremd auf ihren Gatten,
Bis vor der lichten Wirklichkeit
Entflieh‘n die Traumes Schatten;
In Heinrichs Aug‘ ein selig Schaun
Löst bald ihr Bangen all‘ und Graun
In Thränen auf und Lächeln.
„Mir träumte – spricht sie jetzt – ich ging
Im Walde Beeren naschen;
Aufflog ein bunter Schmetterling,
Dem folgt‘ ich, ihn zu haschen;
Mir war so froh, so leicht zu Sinn,
Ich lief nicht mehr, ich flog dahin,
Von Duft und Klang getragen.
Da plötzlich vor mir standest Du,
Geschmückt mit goldner Spange,
Und neben Dir in satter Ruh
Lag glitzernd eine Schlange;
Du schautest ängstlich, ob sie schlief,
Und sprachst dann leis: „ihr Schlaf ist tief –
O komm, daß ich Dich küsse!“
Noch hing, an Leib und Seele frisch,
Ich fest an Deinem Munde,
Da hob, aufbäumend mit Gezisch,
Die Schlange sich vom Grunde;
Ihr Haupt glich einem bösen Weib,
Sie schlang um mich den Schuppenleib,
Und drückte mich zu Tode.“
Wohl füllten sie mit Angst und Scheu
Des Traum’s Erinnerungen,
Und als sie schweigt, da hält aufs Neu‘
Den Gatten sie umschlungen;
Sie küßt ihn heiß, mit Allgewalt,
Doch Heinrichs Kuß ist eiseskalt
Und seine Lippe zittert.
Und erst als Clifford Kind
Ihn wie aus Traum gerüttelt,
Da spricht er: „Laß, der Morgenwind
War‘s, der mich kalt durchschüttelt;
Doch schau‘, die Sonne kommt herauf,
Und dort das Schloß mit Thurm und Knauf
Ist Woodstocks alt Gemäuer.“
Dieser Text ist Gemeinfrei.
Quelle: Theodor Fontane: Von der schönen Rosamunde, Gedicht, Verlag von Moritz Katz, Dessau – 1850, S. 15 ff. (siehe auch: Vorwort)
> Siehe auch: Sämtliche Texte alphabetisch sortiert (Theodor Fontane alphabetisch)
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