Wie Rosamunde hofft und harrt.
Durch Woodstocks Laubengänge hin,
In heller Mittagsstunde,
Zieht nassen Augs in trübem Sinn
Die schöne Rosamunde;
Sie tritt zu einer Ros‘ heran,
Und pflückt sie und zerpflückt sie dann –
Ein Tropfen fällt hernieder.
Da plötzlich springt – den dürren Leib
Behängt mit schmutz‘gen Loden,
Rasch in den Gang ein altes Weib,
Als wüchs‘ es aus dem Boden;
Sie kreischt in widerlichem Ton:
„Gieb nur die Hand, ich weiß es schon,
Du willst vom Liebsten wissen.“
Sie nimmt die Hand und drückt sie nun –
Aufschreit Schön-Rosamunde;
Die Alte murmelt: „Soll ich‘s thun?
Kein Lauscher in der Runde!“
Dann aber läßt die Hand sie frei,
Und spricht wie mitleidsvoll: „Vorbei!
Belogen, Kind, betrogen!“
Das alte Weib, kaum daß sie‘s sprach,
Ist wieder sie verschwunden;
Schön-Rosamunde starrt ihr nach,
Gelähmt und schreckgebunden;
In Lüften eine Lerche singt –
Sie hört es nicht, im Ohre klingt
Das Sprüchel ihr der Hexe.
Dieser Text ist Gemeinfrei.
Quelle: Theodor Fontane: Von der schönen Rosamunde, Gedicht, Verlag von Moritz Katz, Dessau – 1850, S. 49 ff. (siehe auch: Vorwort)
> Siehe auch: Sämtliche Texte alphabetisch sortiert (Theodor Fontane alphabetisch)
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