Ein Sturm.
Der Sturm will jagen: auf fährt er vom Sitz
In seinem zerklüfteten Schlosse,
Er ruft seinen Diener, den flüchtigen Blitz,
Und schwingt sich jauchzend zu Rosse;
Dann probt er die Kraft seiner nervigen Hand
Und schleudert die Tanne, die vor ihm stand,
Gleich einem Ball in die Lüfte.
Die Jagd hebt an: vom Felsenhorst
Stürzt er mit klaffender Meute,
Und spürt in Schluchten und jeglichen Forst
Nach tausendjähriger Beute.
Und näher saust er und braust er heran,
Und jetzt durch Woodstocks mächtigen Tann
Schrillt seine gellende Pfeife.
Es ächzt und stöhnt der geschüttelte Wald; –
Umsonst, ihn rettet kein Jammern!
Wie fest die Eiche sich klammert und krallt,
Zerbrochen werden die Klammern.
Und was von der Hand des Sturmes nicht fällt,
Das wird vom Speere des Blitzes zerspellt –
Todt liegen die Riesen des Waldes.
Und weiter geht es auf schnaubendem Roß,
Die Hufe stampfen und schlagen;
Verhängten Zügels an Woodstock-Schloß
Will er vorüberjagen:
Sieh, da stutzt er – an Söllers Rand
Steht ein Mädchen, und hebt die Hand,
Und ruft: „O komm, o rette!“
„O komm, o rette!“ Er fängt es auf
Und trägt es fort in die Lüfte;
Mit Donnerstimme auf seinem Lauf
Ruft er‘s in Wälder und Klüfte;
Der schäumenden See jetzt schrillt ers ins Ohr,
Und die Wasser der Tiefe steigen empor,
Und horchen: „O komm, o rette!“
„O komm, o rette!“ An Frankreichs Strand
Gellt es der fliegende Reiter;
Die Städte hindurch, hin über das Land
Braust er weiter und weiter;
Da flattert‘s wie Linnen auf offenem Feld,
Und lauter an König Heinrichs Zelt
Ruft er: „O komm, o rette!“
Der König hört‘s; der rüttelnde Sturm
Entriß ihn finsterem Traume:
Er sah einen nagenden Todtenwurm
An einem blühenden Baume –
Er denkt des Traumes, und steigt zu Schiff,
Ihn kümmert nicht Woge, ihn kümmert nicht Riff,
Er hört nur: „Rette, rette!“
Dieser Text ist Gemeinfrei.
Quelle: Theodor Fontane: Von der schönen Rosamunde, Gedicht, Verlag von Moritz Katz, Dessau – 1850, S. 52 ff. (siehe auch: Vorwort)
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