Am Anfang war das Wort Ballade Theodor Fontane: Der Tower-Brand

Theodor Fontane: Der Tower-Brand

Wenn‘s im Tower Nacht geworden, wenn die Höfe leer und stumm,
Gehn die Geister der Erschlagnen in den Corridoren um,
Durch die Lüfte bebt Geflüster klagend dann, wie Herbsteswehn,
Mancher hat im Mondenschimmer schon die Schatten schreiten sehn.

Vor dem Zug, im Purpurmantel, silberweiß von Bart umwallt,
Schwebt des sechsten Heinrichs greise, gram-verwitterte Gestalt,
Lady Gray dann, mit den Söhnen König Edwards an der Hand; — —
Leise rauscht der Anna Bulen langes seidenes Gewand.

Zahllos ist das Heer der Geister, das hinauf — hinunter schwebt,
Das da murmelt: „Fluch Dir Tower, dran das Blut der Unschuld klebt;
Schutt und Trümmer sollst Du werden!“ aber machtlos ist ihr Fluch,
Ehern hält den Bau zusammen böser Mächte Zauberspruch.

Wieder nachtet‘s, wieder ziehn sie durch die Räume still und weit,
Plötzlich stockt der Zug und schaart sich um ein glimmend Tannenscheit,
Dann geschäftig, wie die Bienen, tragen Schnitzwerk sie herzu,
Und zur hellen Flamme schüren sie die matte Gluth im Nu.

Wie das prasselt, wie das flackert! einen sprühnden Feuerbrand
Nehmen sie zum nächtgen Umzug jetzt als Fackel in die Hand,
Weithin wird die Saat der Funken in den Zimmern ausgestreut,
Flammen sollen draus erwachsen; hei, der Fluch erfüllt sich heut!

Alles schläft; doch auf vom Lager springt im Nu der rasche Sturm,
Und er wirft sich in das Feuer, und das Feuer in den Thurm,
An des Towers Felsenwände peitscht er schon das Flammenmeer,
Und den Segen drüber sprechend, wogt auf ihm das Geisterheer.

Doch, als ob das Salz der Thränen feuerfels die Wände macht,
Wie wenn Blut der beste Mörtel, den ein Meister je erdacht, —
Seht, wie durstig auch die Flamme sich von Thurm zu Thurme wirft,
Hat sie doch, als wären‘s Becher, nur den Inhalt ausgeschlürft.

Wieder, wenn es Nacht geworden, wenn‘s im Tower leer und stumm,
Gehn die Geister der Erschlagnen in den Corridoren um,
Durch die Lüfte bebt Geflüster klagend dann, wie Herbsteswehn,
Mancher wird im Mondenschimmer noch die Schatten schreiten sehn.

Dieser Text ist Gemeinfrei.
Verfasst: 1844
Quelle: Theodor Fontane: Gedichte, Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst. – Berlin 1851, S. 198 ff.

> Siehe auch: Sämtliche Texte alphabetisch sortiert (Theodor Fontane alphabetisch)

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