Ida! es knüpft manch‘ schöne Sage
Sich an dies Wort, aus frühster Zeit,
Und bis an‘s Ende aller Tage
Lieh ihm Homer Unsterblichkeit.
Berg Ida war‘s, wo fleiß‘ge Bienen
Den Götterhonig einst gezeugt,
Mit dem der Nymphen treues Dienen
Den Zeus, den jungen, groß gesäugt.
Und Ida war‘s, zu dessen Füßen
Der schöne Sohn des Priam‘s schlief,
Als ihn aus Träumen, liebesüßen,
Ein Götterstreit in‘s Wachen rief;
Vor ihm, (Minerven im Geleite)
Den Erisapfel in der Hand,
Stand Juno, — aber still zur Seite
Die siegessichre Venus stand.
Und Juno sprach: „holdsel‘ger Knabe,
Du, dem an Schönheit Keiner gleicht,
Du sei‘s, der diese goldne Gabe
Der Schönsten von uns Dreien reicht.“
Sie sprach’s; und Paris ohne Schwanken
Nahm hin das Pfand in guter Ruh,
Und warf es, anmuthvoll, der schlanken
Der meerentstiegnen Venus zu.
So war‘s vordem. Jetzt freilich schweigen
Die Himmel tiefer wie das Grab,
Und keine Götterkinder steigen
Mehr vom Olymp zu uns herab;
Doch guten Klang, traun wie vor Zeiten,
Hat immer noch was „Ida“ heißt,
Zumal wenn es den Eingeweihten
Mit süßem Götterhonig speist.
Und immer noch zu Ida‘s Füßen
Streckt sich manch‘ Schäfer auf die Trift,
Wenn keine Göttin auch, mit Grüßen,
Die blauen Lüfte mehr durchschifft.
Die Schäfer unsrer Tage werden
Um den Olymp nicht kalt nicht heiß,
Sie reichen ihrem Gott auf Erden,
An Ida selber ihren Preis.
Dieser Text ist Gemeinfrei.
Quelle: Theodor Fontane: Gedichte, Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst. – Berlin 1851, S. 232 ff.
> Siehe auch: Sämtliche Texte alphabetisch sortiert (Theodor Fontane alphabetisch)
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